Leben - wie du und ich!

Vorgeburtliche Diagnostik begünstigt mit dem Argument der Vermeidung von Leid die Abstoßung vermeintlich beschädigten Lebens. Eine Herausforderung zu größerem Engagement für Menschen mit besonderen Bedürfnissen und besonderen Fähigkeiten!

Innsbruck, Oktober 2019 – Sie waren bis vor Kurzem in Innsbruck auf großformatigen Schwarz-Weiß-Plakaten in selbstbewussten Posen zu sehen: in ihrer Lieblingskleidung, lässig mit Hut und mit der Botschaft, dass sie schick, cool, klug und heavy sind. Die vier Menschen, die für die Jubiläumskampagne #ichbinwiedu der Sozialen Dienste der Kapuziner als „Botschafter” ausgewählt wurden, haben eines gemeinsam: eine Behinderung, die ihre Lebensträume jedoch nicht behindert. Die Frauen und Männer verschiedenen Alters leben in Einrichtungen, die sie in ihren besonderen Bedürfnissen unterstützen und ihnen einen „normalen Alltag” mit beruflichen Verpflichtungen, mit Ausbildung und persönlichen Vorlieben ermöglichen – trotz Trisomie 21 oder schwerer körperlicher Beeinträchtigung.

 

Es ist sehr erfreulich, dass in den vergangenen Jahrzehnten viele Bemühungen die Integration von Menschen mit besonderen Bedürfnissen erleichtert haben, was auch zu größerer Toleranz und gesellschaftlicher Anerkennung geführt hat. Parallel zu dieser Entwicklung eröffnen immer genauere medizinische Verfahren vorgeburtlicher Diagnostik eine paradoxe Situation: „Behinderungen” (vor allem Trisomie 21, das sogenannte Down-Syndrom) werden wie bei einer Verbrecherjagd aufgespürt. Die Konsequenz? Die österreichische Gesetzgebung sieht bei zu erwartender „schwerer Schädigung” des Fötus die Möglichkeit des straffreien Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt vor, ohne genau zu definieren, was „schwere Schädigung” sei. Ärzte stehen unter dem Druck der Aufklärung und der eigenen Absicherung, da es bereits ein Gerichtsurteil gibt, das einen Arzt zu lebenslangen Unterhaltszahlungen für ein Kind verurteilt hat. Er hatte einer schwangeren Patientin eine weiterführende Untersuchung empfohlen, zu welcher die Frau allerdings nicht gegangen ist. Das „Verschulden” des Arztes: Mangelnder Nachdruck.

Die Vor- und Nachteile pränataler Diagnosemethoden wurden kürzlich in Wien bei einer von aktion leben österreich veranstalteten Fachtagung aus ärztlicher, psychologischer und sozialpädagogischer Sicht unter die Lupe genommen. Der Arbeitstitel „Pränataldiagnostik: Sicher verunsichert?!” hat das Spannungsfeld, in dem werdende Eltern stehen, auf den Punkt gebracht: Wollen/müssen sie sich für alle Untersuchungen entscheiden und welche Konsequenz hätte für sie ein auffälliger Befund? Gibt es bei solchen Testergebnissen eine psychologische Beratung, die auch Alternativen zur Abtreibung aufzeigt? Ist ausreichend bekannt, dass Testbefunde diskordant (fehlerhaft) sein können, und dass 97 Prozent der Kinder gesund zur Welt kommen? Tagungsteilnehmerinnen haben auch die sprachliche Diskriminierung, die bereits bei der Befundmitteilung stattfindet, kritisiert: Ein Kind mit Trisomie 21 ist nicht krank, sondern anders. Und trotz einer Fehlbildung kann sich ein Kind bei ausreichender Unterstützung zu einem lebensfrohen und -tüchtigen Menschen entwickeln.

Es stellt sich die Frage, ob es das gesellschaftliche Ziel sein kann, auf den vermeintlich „perfekten Menschen” hinzuarbeiten und ob es schon bald eine Rechtfertigung für Kinder, die mit Trisomie 21 oder einer anderen Beeinträchtigung geboren werden, braucht. Ich muss wieder an die Innsbrucker Plakat-Models denken und an die Äußerung eines Vaters, dass ein Trisomie 21-Kind intellektuelle Defizite mit jeder Menge emotionaler Intelligenz kompensiert. Und davon kann unsere Welt nicht genug haben.

Dr. Elisabeth Pauer, Dipl. Ehe-, Familien- und Lebensberaterin